20. Juli 1968
(Mutter scheint es besser zu gehen, obwohl sie noch hustet. Jetzt hat Satprem hingegen Fieber.) Das kommt von dort (vom Vatikan), es hat den gleichen Ursprung wie bei mir. Das erste Mal war ich auf der Hut, diesmal aber hat es mich überrumpelt ... Solange sie das amüsiert ...
*** (Etwas später ) Ich kann nicht sprechen ... (Mutter hustet). Z hat mir "gebeichtet" und mir Fragen gestellt. Ich wollte heute antworten, aber jetzt habe ich meine Stimme verloren. Wenn du es vorlesen möchtest. (Mutter reicht Satprem einen Brief)
Ach! Es gibt Fragen.
Das lässt sich einfach beantworten.
(Lachend) Sie erwartet wohl nicht, dass ich ihr darauf antworte!
Hat er gesagt, man solle durch die Mutter gehen?
Ach! Das ist es ... Und dann?
Ist das alles?
Ja. Das ist absurd. Ich wollte ihr antworten, aber ich kann nicht sprechen. Sie wird warten müssen. (langes Schweigen)
(Mutter stimmt lebhaft zu) Ja, ja!
Ich bin nicht dieser Meinung.
Das schränkt zu sehr ein.
Nein, nein! Auf gar keinen Fall. Wenn man mich fragt, sage ich ganz entschieden nein. Denn trotz allem, selbst wenn man versteht, ist man durch die Tatsache einer persönlichen Form, einer persönlichen Erscheinung, einer scharf umrissenen Persönlichkeit beeinflusst - all dies ist wertlos. Einige ziehen es vor, mit der Idee "der Mutter", d.h. der ausführenden Kraft, zum Höchsten zu gelangen ... Für mich hingegen ... für mich ergibt dies natürlich keinen Sinn. Aber ich sehe sehr wohl, ich weiß, dass es niemals hier landet, wenn mich Leute rufen (Mutter bezeichnet ihre Person), es geht in jedem Fall unmittelbar zum Höchsten; selbst das, was das aktive Bewusstsein berührt, geht unmittelbar zum Höchsten. Für Menschen mit einer solchen Einstellung ist es mitunter einfacher. Also lasse ich sie gewähren, aber ... Denn eigentlich ist das belanglos; diese Person (Mutter) ist ganz und gar ... wie soll man das nennen?... Sie ist nicht einmal ein Abbild, vielleicht eher ein Symbol ... Manche Leute brauchen einen Anhaltspunkt, um ihre Aufmerksamkeit darauf zu fixieren. Ich merke das die ganze Zeit: anstatt direkt zu gehen (zum Höchsten), was für die Leute etwas verschwommen bleibt, geht es so (zu Mutter), es sammelt sich hier, und dann geht es dorthin (zum Höchsten). (Mutter bezeichnet mit den Händen eine Art Kreislauf, der auf sie zugeht, zum Höchsten aufsteigt, um dann wieder durch sie zu den Personen zurückzufließen. Die Form des Kreislaufs erinnert deutlich an den Umriss eines einzigen Wesens.)
Auch bewirkt hier (in Mutter) die Tatsache der physischen Präsenz, dass die Richtung der Kräfte präziser ist. Ich sehe, wie die Kraft von oben wirkt (Geste eines Drucks oder einer herabsteigenden Masse), und durch die Ähnlichkeit der Schwingungen kommen sie in Kontakt. Außerdem entsteht dabei (beim Hindurchfließen durch Mutter) dieses physische, materielle Wissen, das das Wirken der Kraft präzisiert und konkretisiert. Vom Standpunkt der Hilfe aus ist es ... Sri Aurobindo hatte recht: die Hilfe ist direkter. Dies erspart den Leuten Arbeit. Ich sehe, was kommt, diese Art Atmosphäre - es ist viel mehr als eine Atmosphäre: eine beständige Präsenz, verstehst du, sie ist ständig da -, und in diesem Bewusstsein (Mutters) präzisiert sich deren Wirkung: sie präzisiert sich individuell, je nach den Fällen, den Erfordernissen und Gegebenheiten. Eine fast automatische Arbeit. Natürlich stelle ich mir vor, dass dies die Leute weiterbringt. Sie brauchen im allgemeinen etwas Persönliches - "persönlich" heißt: wessen Schwingung mit der ihrigen identisch ist. Ich weiß nicht, ob es aufgrund der Erkältung ist (ich glaube nicht - ich weiß sehr wohl, wo das herrührt), aber den ganzen Vormittag (die Nacht über und den Vormittag) bestand eine Art Wahrnehmung aller Arten von Bewusstseinszuständen, durch die dieser Körper hindurchgegangen ist, auch verschiedene Konstellationen von Umständen, und bei alldem eine solch konkrete, absolute Wahrnehmung: "Wo ist die Person? Wo ist das Individuum, wo befindet sich denn die Person, wo...?" Und mit einer so klaren Vision des höchsten Bewusstseins, das als EINZIGES permanent ist - das höchste Bewusstsein, das darin spielt, in all dem, in allen Regungen, allen Bewegungen, allen Handlungen, allen ... Dies wurde auf derart konkrete Art und Weise verspürt und durchlebt, dass ich sah, wie dieser Körper, den die Leute noch für den gleichen halten, der vor mehr als neunzig Jahren geboren wurde, in gar keiner Weise mehr derselbe ist. Alles hat sich verändert: die Zellen haben sich verändert, alles hat sich verändert. Alles: der Bewusstseinszustand ist ein vollkommen anderer; wo befindet sich nun die Person in all dem?... Das drängte sich auf einen Schlag auf: "Wo befindet sich diese Persönlichkeit ... Wo ist sie nur?..." Es gab nichts als Das (Geste nach oben): Bewusstsein. Und dann die Vision des Ganzen, wie die Dinge sich gestalten, wie ... (Wellenbewegung eines Ganzen, das sich in unzähligen Formen und Gestalten ausfächert). Diese Erfahrung, die man sonst im höheren Mental oder im Psychischen hat, erlebt nun der Körper - der Körper selbst hat sie in seinem Zellaufbau. Er hatte diese Erfahrung heute morgen: nur Das war beständig - Das, was in sämtlichen unzähligen Veränderungen sich gleich bleibt ... (reglose, unerschütterliche Geste mit der Handfläche). Eine so konkrete Erfahrung - so konkret für den Körper -, dass er sich fragt, wie er denn überhaupt noch seine Gestalt erhalten kann. All die üblichen Vorstellungen ... ergeben überhaupt keinen Sinn mehr. Überhaupt keinen Sinn, all dies will nichts besagen. Es begann gestern mit der Erfahrung des unendlich Kleinen und aller Welten, die auf diese Weise organisiert sind (vielleicht macht Mutter eine Anspielung auf ihre Vision der Zelle in einer übergroßen Hand). Und ich hatte den Eindruck einer größeren Persönlichkeit (insofern als sie sozusagen mehr Raum einnahm), die Menschen, alle Menschen waren darin nichts als ganz winzige Bestandteile von etwas viel Größerem ... So war es gestern. Heute kam nun die umgekehrte, aber sie ergänzende Erfahrung. Das führt dann zu dieser Vision des Ganzen und aller Dinge - des Ganzen, das wir aufgrund unserer Schwäche immer mit Grenzen sehen. (Mutter tritt in eine lange Kontemplation ein, plötzlich lächelt sie) Ich weiß nicht, ob es aufgrund dessen kam, was ich dir erzählte, oder wegen etwas anderem, aber ich sah ein ungeheuer großes Wesen, das daherkam und ein kleines Kind an der Hand hielt ... und das kleine Kind warst du. Das Wesen kam und stellte das Kind so vor mich hin (Geste zu Mutters Füßen). Es war ungeheuer groß, riesig, riesig, viel größer als das Haus, verstehst du: das kleine Kind war wie ein Daumen für es (Mutter deutet auf das Ende ihres kleinen Fingers). Es hat dich so gehalten und kam, um dich vor mich zu stellen (Mutter lacht). Vielleicht handelt es sich um die Fortsetzung von dem, was ich dir erzählte? Dabei war es sehr konkret. [[Satprem geht davon aus, dass es sich bei diesem ungeheuer großen Wesen um "Das" handelt, dem er sich anstelle Mutters zuwendet. Und "Das" kam, um ihn an seinen Platz zu stellen. ]] Sri Aurobindo sagte, wenn man über das Unpersönliche hinausgehe, finde man das Persönliche: DIE Person. Ich bin sicher, dass er selbst diese Erfahrung hatte ... Meine eigene Wahrnehmung dieses Phänomens ist eine Art Verschmelzung - eine Verschmelzung aller möglichen Auffassungen von Persönlichkeit in ... ich möchte nicht sagen in eine Unpersönlichkeit, das stimmt nicht, sondern in etwas, das keine Grenzen hat, das im engeren Sinne des Wortes überhaupt nicht persönlich ist, dabei jedoch mit der ganzen konkreten Realität der Person ausgestattet. Verstehst du, es handelt sich um eine Erfahrung des Körpers (in den anderen Bereichen hatte ich nie Schwierigkeiten), eine Erfahrung DES KÖRPERS. Der Körper hat andauernd die Erfahrung dieser Verschmelzung; andauernd ist es, als verschmelze er darin, aber ... für ihn ist dies trotzdem eine Bewegung vom Identischen zum Identischen, und die Empfindung (oder die Wahrnehmung) eines "anderen" oder eines Andersseins empfindet er als seine eigene Unzulänglichkeit. Und doch handelt es sich in keiner Weise um die Erfahrung eines maßlos übersteigerten Ichs, absolut nicht, sondern ... Was völlig konkret ist, ist das All-Bewusstsein (er spürt sehr wohl, dass es sich dabei um viel mehr als das handelt, dass dies nur ein Aspekt ist). Das ist jedoch eine ununterbrochene Erfahrung. Und diese Auffassung eines Persönlichen und Unpersönlichen ergibt keinen Sinn. Sie hat keinerlei reale Entsprechung. Der Körper hat das Gefühl seiner Persönlichkeit vollkommen verloren, absolut, und das ist seltsam. Beispielsweise ... (alles überträgt sich jetzt in ein Bewusstseinsphänomen), beispielsweise geschieht, ich weiß nicht wie oft am Tag, folgendes: Plötzlich entsteht das Bewusstsein einer Störung, eines Schmerzes oder eines Leidens in irgendeinem Körperteil - nicht auf diesen Körper beschränkt (Mutter deutet auf ihren Körper) sondern wie in einem ungeheuer großen Körper oder Ort; und wenig später oder nach einigen Stunden höre ich, dass diese oder jene Person dies oder jenes Leiden hatte, das folglich als ein Teil dieses ungeheuren Körpers empfunden wurde ... Das hat sich wirklich merkwürdig entwickelt. Und es hat mit dieser Erkältung noch bedeutend zugenommen. Weißt du, ich empfange weniger Leute, ich arbeite weniger und ruhe mehr - aus Gewohnheit sage ich "ich", dies entspricht aber nicht mehr ganz dem gegenwärtigen Zustand ... Das "Ich" ist, als versetzte ich mich in das Bewusstsein der Leute und beschriebe den Vorgang von dort aus; das entspricht aber in gar keiner Weise der Empfindung dessen, was geschieht. Ach, ich fange an, dich zu langweilen ...
Ach?
(Mutter nickt und verharrt schweigend)
Ja, ja. (Schweigen)
Weißt du, durch die Neuigkeiten, die die Leute bringen, und die Dinge, die sich zutragen, habe ich immer mehr den Eindruck eines solch ungeheuren Stromes, dass ... Ich glaube, dass es sich so verhält, ich glaube, dass es dabei ist, alles zu verändern, und zwar in einem phantastischen Tempo, dessen wir aber nicht gewahr werden - man wird es erst später erkennen. Denn die Fülle an Details - es sind deren Hunderte - und der Eindruck als Ganzes ist ungeheuer. Weißt du, wenn das Bewusstsein sich konzentriert - und aus irgendeinem Grund sich hier in diesem Körper konzentriert -, so entsteht der Eindruck, als würde alles bersten - kochen und bersten -, so dass ich mich öfters frage: "Habe ich denn Fieber?" - Natürlich habe ich überhaupt kein Fieber. Und mit der Reglosigkeit, der äußeren Inaktivität und der Konzentration des Bewusstseins entsteht stets eine so unermessliche, ungeheure Dichte, und ... Es ist Frieden, eine erhabene Ruhe. Ein Frieden ... unaussprechlich - inmitten einer ungeheuren Aktion. Und dann ... (Mutter geht in Kontemplation)
*** (Am Schluss der Gesprächszeit )
Er erwartet eine Antwort?
Ich habe ihm ausführlich und sehr konkret geantwortet - sehr konkret -, mit großer Konzentration ... ich weiß nicht, ob es sich um einen empfindsamen Menschen handelt. Die Verbindung war lang, sehr vollständig und die Arbeit sehr präzise. Ich antwortete in einer viel wahrhaftigeren Weise, als es Worte vermögen. Ich erwägte, bestimmte Dinge zu sagen, aber all dies ist vergleichsweise belanglos. Die großen Phrasen, all dies führt zu nichts, das verabscheue ich. All das ist so klein und mickerig. Ich werde sehen, ob es ankommt. @ |